Leihen statt kaufen, teilen statt besitzen - die Bib der Dinge in Bochum

Stell’ dir vor, es gäbe in unmittelbarer Nähe zu deiner Wohnung, fußläufig erreichbar, eine Ausleihmöglichkeit für all die sperrigen, selten genutzten Gerätschaften wie Rasenmäher, Eismaschine, Hockeytore,..., die du bei Bedarf entleihen und nutzen kannst und dann einfach wieder zurück bringst - statt sie selbst alle in deinem Zuhause zu lagern. Praktisch, oder? Deine Nachbar*innen würden sich dort ebenfalls Gegenstände ausleihen, die Anlaufstelle wäre also auch ein beliebter Treffpunkt im Viertel.

Die Bibliothek der Dinge in Bochum ist auf dem Weg, genau diese Art von lokalen Infrastrukturen zu schaffen. Damit nicht jeder Haushalt all die selten gebrauchten Gegenstände selbst besitzen muss, sondern diese Dinge gemeinschaftlich verwendet werden. Konkret gelebte Nachhaltigkeit, die Ressourcen in Produktion und Instandhaltung spart und Gegenstände intensiver nutzbar macht, statt Konsum zu befördern.

Die Bibliothek der Dinge befindet sich in einer ehemaligen Lagerhalle in Bochum und beinhaltet - ganz wie eine herkömmliche Bibliothek - Regale, in denen die entleihbaren Gegenstände sortiert und ausgestellt sind. Daneben gibt es hier aber auch verschiedene Werkstatt- bzw. DIY-Bereiche, wie beispielsweise eine Holzwerkstatt, eine Textilwerkstatt samt Siebdruckangebot, ein FabLab mit 3D-Druckern und Lasercutter sowie ein MINT-Labor, in Kooperation mit einem außerschulischen Bildungsträger. Und außerdem einige Reparaturarbeitsplätze - eingerichtet von ehrenamtlichen Reparaturaktiven, die hier zum Reparaturcafé zusammenkommen, aber auch um die eingehenden Sachspenden zu prüfen sowie das Bibliotheksinventar in Stand zu halten.

Najine ist eine der drei Gründer*innen des phase4:instituts, das als gGmbH die Bibliothek der Dinge betreibt. Derzeit noch ehrenamtlich im Einsatz, kümmert sie sich mit ihren Mitstreiter*innen darum, die Bibliotheksstrukturen auszubauen, Kooperationen zu schmieden und das Angebot bekannt zu machen. So gibt es beispielsweise eine Kooperation mit der Bochumer Stadtbibliothek, in deren Stadtteilbüchereien ebenfalls Gegenstände aus der Bib der Dinge entliehen oder zurückgegeben werden können. “Das erleichtert uns die Logistik, denn momentan können wir selbst noch keine durchgehenden Öffnungszeiten anbieten - das ist in den Stadtteilbüchereien jedoch gegeben. Außerdem wird unsere Dingbibliothek so auch stadtweit wahrgenommen.”

Um die Bibliothek der Dinge zu nutzen, gilt es, zunächst ein Nutzerkonto mit Monats- oder Jahresabo am Hauptstandort in der Lagerhalle zu eröffnen - dort können dann vor Ort direkt Dinge entliehen werden. Oder aber man nutzt den Onlinekatalog, reserviert sich den gewünschten Gegenstand und holt ihn am Hauptort oder in einer Filiale der Stadtbücherei ab. Das Inventar umfasst u.a. diverse Elektro- und Küchengeräte, Maschinen und Werkzeuge, Kleinkindbedarf, Sport- und Fitnessgeräte, Camping- und Outdoorbedarf,  aber auch Kostüme, Kinderspielzeug und Spiele. Je nach Leihobjekt und Bedarf erhält man eine kurze Einweisung für den Gebrauch.

Die Menschen, die hier Gegenstände entleihen, sind Studierende, Familien mit Kindern, aber auch Menschen im Rentenalter - sie eint die Überzeugung, dass wir alle weniger besitzen und mehr teilen dürfen. “Die Amazon-Generation, die click & buy zu jeder Zeit von jedem Ort aus gewöhnt ist, kann bei uns natürlich nicht so gut andocken,” berichtet Najine. “Doch die, die hier leihen, schätzen den Austausch, die Bibliothek als Treffpunkt und auch die Gespräche, die hier entstehen.”
Denn hier passiert nicht nur Ausleihe und Rückgabe, sondern auch gemeinsames Arbeiten und Workshopangebote in den Werkstätten. Ehrenamtliche teilen in Vorträgen und Workshops ihr Wissen zu bestimmten Handwerkstechniken oder erklären die Nutzung von Werkzeugen und Maschinen, die mobile Holzwerkstatt besucht mit einem Kinderangebot die Stadtteilbibliotheken und aus einer Kooperation mit dem örtlichen Seniorenbüro entstand ein mittwöchlicher Upcycling-Vormittag, der seit einem Jahr läuft. Das Bib-Team probiert und stößt unterschiedliche Angebote an und sieht sich als Ermöglicher fürs gemeinsame Selbermachen: “Wir rollen den roten Teppich aus und schauen, wer darauf tanzt,” so Najine.

Die Bib der Dinge versteht sich als Ort des Austauschs - von Dingen, aber auch von Wissen und Fähigkeiten. Für Najine schafft eine Bibliothek einen Raum für Wissensaustausch und -weitergabe, einen Ort, in dem jede*r etwas zu geben hat - und dadurch Selbstwirksamkeit, Resilienz und Selbstverantwortung wachsen können. Ihre Zukunftsvision der Dingbibliothek sind viele dezentrale Leihgelegenheiten in allen Stadtvierteln, um das Leihen zu erleichtern und fest im Alltag zu verankern.
Dafür betreibt sie derzeit vor allem viel Aufklärungsarbeit: “Jedes Gespräch zählt, auch wenn die Leute nicht leihen. Hauptsache wir schaffen ein neues Bewusstsein, setzen Impulse zum Nachdenken und bewirken vielleicht Verhaltensänderungen, hin zu mehr Leihen, mehr Reparieren, mehr Downsizing im Allgemeinen.”

Die traditionelle Bücherei müsse sich als Konzept neu erfinden, meint Najine. Grundsätzlich sei sie anerkannt als Lernort zum Wissensaustausch: Menschen halten sich hier gerne auf, erhalten neue Anregungen - doch da gedruckte Bücher zunehmend bedeutungsloser und seltener werden, verändert sich auch Funktion und Auftrag der Bücherei. Die Bücher werden weniger, freier Raum entsteht - Dingbibliotheken könnten ein Weg sein, diesen neu zu beleben. Und so die Idee von Nutzen statt Besitzen vor Ort sichtbar, zugänglich und persönlich umsetzbar zu machen.

> Zur Website der Bib der Dinge.
> Zum Inventar.

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